Vorsitzender der Domowina - Dawid Statnik
Wir Sorbinnen und Sorben gelten ja bisher vor allem als Brückenbauer zwischen Deutschland und seinen slawischen Nachbarländern – sprachlich und kulturell als slawisches Volk, das seit rund anderthalbtausend Jahren in der Lausitz beheimatet ist. In die deutsche Einheit hatten wir es zunächst nur als Fußnote geschafft, als Protokollerklärung außerhalb des eigentlichen Einigungsvertrages. Die alte Bundesrepublik zeigte sich damals von unserer Existenz spürbar überfordert. Insofern ist es für uns eine besondere Genugtuung, nun im Rahmen eines „innerdeutschen Ost/West-Kultur-Dialogs“ einbezogen zu werden, und das, wie Ihr Bürgermeister schreibt, mit „besonderem Augenmerk“. Dafür möchte auch ich dem „Förderverein Stadthalle Northeim e.V.“ und natürlich Harald März unseren herzlichen Dank übermitteln.
Unserem sorbischen Dachverband Domowina gehört inzwischen auch ein assoziierter Mitgliedsverein aus Niedersachsen an, der „Wendische Freundes- und Arbeitskreis e.V. Lüchow“. Ihm liegt genau das am Herzen, was auch Sie dankenswerterweise in den Fokus nehmen: die Geschichte der elbslawischen Völker, die gewaltsamer Assimilierung zum Opfer fielen. Gleichwohl haben sie bis heute Spuren hinterlassen, und auch wir fühlen uns der Pflege ihres Erbes verpflichtet. Unser Freunde aus dem Wendland haben sogar auf Grundlage einiger überlieferter Fragmente des einstigen drawehno-polabischen Dialektes im Hannoverschen Wendland mit wissenschaftlicher Unterstützung ein 173 Seiten umfassendes Wörterverzeichnis ins Internet gestellt – als faszinierendes Projekt der Rekonstruktion einer untergegangen Sprache.
Unsere sorbischen Sprachen in der Nieder- und Oberlausitz sind glücklicherweise über Dutzende Generationen bis ins 21. Jahrhundert weitergegeben worden. Wo sie in der Lausitz im Alltag verschwunden sind, arbeiten wir an ihrer Revitalisierung. Mit ausdrücklicher staatlicher Unterstützung, denn die Politik der Bundesrepublik hat hinzugelernt: Im Jahr 2020 hat der Bundestag ein Strukturstärkungsgesetz für die bisherigen Kohlereviere beschlossen, in dem das sorbische Volk ausdrücklich berücksichtigt wurde. Die Energiepolitik mehrerer politischer Systeme, vor allem der DDR, hat mehr als 130 sorbische Dörfer von der Landkarte gestrichen, um expandierenden Braunkohle-Tagebauen Raum zu geben. Dieser ungeheure Verlust von Kultur, Sprache, aber auch von göttlicher Schöpfung hat tiefe Wunden geschlagen, die zu heilen eine Jahrhundertaufgabe ist.
Auch die Wirklichkeit von Northeim hat manche Epoche durchlaufen; wer von den ganz Jungen weiß heute noch, was ein „Zonenrandgebiet“ war? Wir sind zwar ein Volk ohne eigenen Staat, sehen das aber nicht mehr als Mangel. Im Gegenteil: Die Weiterentwicklung unserer Europäischen Union zum Wohl all ihrer Völker kann nur gelingen, wenn Grenzen zwischen Staaten weiter an Bedeutung verlieren. Das wieder zunehmende kleinkarierte Abrechnen, wer wem was gibt oder nimmt, ist nicht zukunftsweisend. Domowina heißt Heimat. Wir Sorbinnen und Sorben stehen für ein Heimatverständnis, das offen für neue Nachbarn ist.
Ich wünsche dem „Innerdeutschen Ost/West Kultur-Dialog Northeim 2023“, Ihrem „Sorben-Sommer-Sonnenfest“ gutes Gelingen und allen Beteiligten, Verantwortlichen, Mitwirkenden und Gästen viel Freude und – Lust auf die Lausitz. Witajće k nam do Łužicy! Witajśo k nam do Łužyce! Willkommen in der Lausitz – gerne auch auf der von Ihnen ins Visier genommenen Spurensuche-Reise Ostern 2024!
Dawid Statnik